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Blitz- und Überspannungsschutz in Niederspannungsanlagen

Veröffentlicht: 25. Juli 2012 Kategorie: Fachartikel

Für die Realisierung eines umfassenden Überspannungsschutzes in Gebäuden müssen alle Stromversorgungs-, Daten- und Telekommunikationsleitungen, die in diesem verlegt sind, betrachtet und entsprechend der möglich auftretenden Gefährdung gegen Überspannungen geschützt werden.

Blitz- und Überspannungsschutz in Niederspannungsanlagen
Die Ursachen für Überspannungen sind vielfältig und – anders als oft vermutet – nicht immer die Folge eines Blitzeinschlags. Die weit häufigeren Ursachen für Überspannungen sind in der elektrischen Installation selbst zu finden. Zu nennen sind Schaltüberspannungen, die sowohl auf der Niederspannungsseite wie auch auf der Mittelspannungsseite ihren Entstehungsort haben können, das Ansprechen von Schmelzsicherungen oder elektrostatische Entladungen.

Zur Feststellung welcher Gefährdung durch Überspannungen das Gebäude und die elektrische Anlage ausgesetzt ist, muß dessen Lage selbst und die nähere Umgebungsbedingung betrachtet werden. Weiterhin ist zu unterscheiden zwischen Wohngebäuden, Zweckbauten wie z. B. Bürogebäude oder Krankenhäuser oder Gebäuden für industrielle Nutzung.

Die direkten Kosten durch einen Überspannungsschaden wie der Ersatz von zerstörten Computeranlagen, Automatisierungseinrichtungen oder elektronischen Geräten im privaten Haushalt werden meistens um ein Vielfaches durch die entstehenden Folgekosten übertroffen. Produktionsausfälle in der Industrie oder Ausfälle von Dienstleistungen in der IT- oder Telekommunikationsbranche summieren sich schnell auf außergewöhnlich hohe Summen.

Nicht zu vergessen ist natürlich auch die Gefährdung von Personen durch einen direkten Blitzeinschlag ins Gebäude und die Gefahr einer Brandentwicklung. Entscheidungskriterien für den Einsatz von Überspannungsschutzgeräten Typ 2 und Typ 3 enthält die DIN VDE 0100-443 [6], für Überspannungsschutzgeräte Typ 1 werden im Rahmen der Blitzschutz-Normenreihe VDE 0185-305 Teil 1 bis 4 (DIN EN 62305 Teil 1-4) Entscheidungskriterien gegeben.

Die DIN VDE 0100-443:2007-06 behandelt den Schutz von elektrischen Anlagen bei Überspannungen infolge atmosphärischer Einflüsse, die über das Stromversorgungsnetz übertragen werden, und infolge von Schaltvorgängen. Diese Überspannungen werden durch Ableiter des Typs 2 und Typs 3 begrenzt. In der vorliegenden Norm werden zwei Verfahren zur Entscheidung für den Einsatz von Überspannungs-Schutzeinrichtungen (ÜSE) beschrieben, wobei in Deutschland ausschließlich das Verfahren abgestützt auf eine Risikoanalyse zur Anwendung kommt. Daraus folgt, daß die unten beschriebenen Fälle a) bis c) den Einsatz von ÜSE ohne Berechnung zwingend notwendig machen.
  1. Auswirkungen in Bezug auf das menschliche Leben, z. B. in Anlagen für Sicherheitszwecke, medizinische Betriebsmittel in Krankenhäusern
  2. Auswirkungen in Bezug auf öffentliche Einrichtungen, z. B. Ausfall von öffentlichen Diensten, Telekommunikationszentren, Museen
  3. Auswirkungen in Bezug auf Gewerbe- oder Industrieaktivitäten, z. B. Hotels, Banken, Industriebetriebe, Gewerbemärkte, Bauernhöfe
  4. Auswirkungen auf Ansammlungen von Personen, z. B. große Wohngebäude, Kirchen, Büros, Schulen
  5. Auswirkungen auf Einzelpersonen, z. B. kleine und mittelgroße Wohngebäude, kleine Büros.
Bei den Auswirkungsfällen d) und e) muss für die Entscheidung das Ergebnis der Berechnung entsprechend Anhang B herangezogen werden

Die Blitzschutz-Normenreihe DIN EN 62305 Teil 1 bis 4 (VDE 0185-305 Teil 1 bis 4) stellt ein umfassendes Gesamtkonzept für die Planung und Errichtung von Blitzschutzanlagen dar. Dieses beinhaltet den äußeren und inneren Blitzschutz von Gebäuden wie auch Schutzmaßnahmen für Versorgungsleitungen.

  • Teil 1: Allgemeine Grundsätze.
    Der erste Teil der Blitzschutz-Normenreihe gibt Informationen über die Gefährdung durch den Blitz, die Schadensarten und –ursachen, die entsprechend klassifiziert werden (L1...L4; D1…D3;…). Weiterhin werden die möglichen Schutzmaßnahmen beschrieben und die grundlegenden Kriterien für den Schutz von baulichen Anlagen und Versorgungsleitungen dargelegt, die in den weiteren Teilen der Normenreihe Anwendung finden. Hinzu kommen die Begrifflichkeiten wie Gefährdungspegel (LPL), Blitzschutzzone (LPZ), Blitzschutzsystem (LPS), etc…

  • Teil 2: Risiko-Management.
    Das hier beschriebene Risikomanagement verwendet eine Risikoanalyse zur Bestimmung der Notwendigkeit eines Blitzschutzes. Aufbauend darauf wird die technisch und wirtschaftlich optimale Schutzmaßnahme festgelegt. Dazu wird das Risiko, welchem das Objekt ausgesetzt ist, solange durch Schutzmaßnahmen vermindert, bis das akzeptierbare Risiko erreicht bzw. unterschritten wird.

  • Teil 3: Schutz von baulichen Anlagen und Personen.
    Dieser Teil befaßt sich mit dem Schutz von baulichen Anlagen sowie von Personen bzw. Lebewesen infolge von direkten Blitzeinschlägen durch das Blitzschutzsystem (LPS: Lightning Protection System). Das Blitzschutzsystem umfaßt den äußeren Blitzschutz (Fangeinrichtungen, Ableitungen, Erdung) und den inneren Blitzschutz (Blitzschutzpotentialausgleich, Trennungsabstand). Das LPS wird in seiner Wirksamkeit durch die Blitzschutzklasse I bis IV beschrieben, wobei die Blitzschutzklasse I die höchste Wirksamkeit aufweist.

  • Teil 4: Elektrische und elektronische Systeme in baulichen Anlagen.
    In diesem Teil wird der Schutz von baulichen Anlagen mit elektrischen und elektronischen Systemen gegen Wirkungen des elektromagnetischen Blitzimpulses (LEMP: Lightning Electromagnetic Impulse) mittels LEMP-Schutzsystem (LPMS: LEMP Protection Measures System) beschrieben. Das LPMS kann aus Erdung / Potentialausgleich, der räumlichen Schirmung, der Leitungsführung und -schirmung oder dem koordinierten SPD-Schutz (SPD: Surge Protective Device) bestehen. Das Gebäude wird hierbei in Blitzschutzzonen eingeteilt (LPZ: Lightning Protection Zone) – an jedem Übergang von einer Zone in die nächste ist ein entsprechender Überspannungsschutz vorzusehen.
Bei der Planung des Überspannungsschutzes sollte unbedingt darauf geachtet werden, dass dieser andere Schutzmaßnahmen der Gebäudeinstallation nicht einschränkt oder die Anlagenverfügbarkeit herabsetzt. Besonderes Augenmerk ist auf die Ableitervorsicherung sowie das Zusammenwirken von Überspannungsableiter und Fehlerstrom-Schutzeinrichtung zu legen. Überspannungs-Schutzeinrichtungen müssen grundsätzlich durch eine Ableitervorsicherung geschützt werden und den Ableiter im Fehlerfall (Kurzschluss) sicher vom Netz trennen, auf der anderen Seite aber zur Erzielung des bestmöglichen Schutzes gegen Überspannungen den Ableiter nicht unnötig früh vom Netz trennen.

Die Ableitervorsicherung kann entweder durch die einspeiseseitige Absicherung (Bild 2) der Anlage oder durch eine separate Vorsicherung direkt im Ableiterpfad (Bild 1) realisiert werden. Über die Höhe des maximal zulässigen Nennstroms der Ableitervorsicherung muss der Hersteller Auskunft geben. Diese Angaben sind gerätespezifisch geprüft und werden in den dazugehörigen Produktdokumentationen und auch auf den Geräten selbst kommuniziert. Ist der Nennstrom der einspeiseseitigen Sicherung F1 ausreichend klein, um auch den Schutz des Überspannungsschutzgeräts zu gewähren, kann auf die separate Vorsicherung F2 verzichtet werden.



Bei der Hintereinanderschaltung von mehreren Schutzorganen besteht immer das Bestreben diese selektiv zueinander anzuordnen, um eine hohe Anlagenverfügbarkeit zu erreichen. Im Falle von Blitzstromableitern Typ 1 auf Funkenstreckenbasis mit Installationsort am Gebäudeeintritt, die Blitz-Stoßströmen der Wellenform 10/350 µs ausgesetzt sind, ist dies nur schwer möglich da es sich bei Blitz-Stoßströmen um einen eingeprägten Strom handelt [5]. Gerade bei großen Blitz-Stoßströmen über 25 kA ist sowohl zwischen Sicherungen als auch zwischen Leistungsschaltern keine Selektivität untereinander erreichbar.

Überspannungsableiter Typ 2, die in Unterverteilungen installiert werden, sind üblicherweise Stoßströmen der Wellenform 8/20 µs ausgesetzt. Das Ansprechen der Sicherungen bzw. der Leistungs- oder Leitungsschutzschalter auf diese Wellenform ist nicht so kritisch, so daß das Kriterium Selektivität hier Anwendung finden kann. Hierzu müssen die eingesetzten Schutzorgane betrachtet werden.

Selektivität zwischen Sicherungen ist üblicherweise ab einer Abstufung des Sicherungs-Bemessungsstromes von ≥ 1,6 erreicht. Für die Betrachtung im Kurzschlussbereich können auch die Schmelz- und Ausschaltintegralwerte der Sicherungen herangezogen werden. Zur Erreichung von Selektivität zwischen Sicherung und Leistungs- bzw. Leitungsschutzschalter oder Leistungsschalter und Leistungs- bzw Leitungsschutzschalter können die Selektivitätstabellen der Hersteller als Hilfe herangezogen werden. Hier kann in der Regel mindestens eine Teilselektivität bis zu einem Kurzschlussstrom „X“ oder eine volle Selektivität bis zum Ausschaltvermögen des nachgeschalteten Schutzorgans erzielt werden. Bei Verwendung von Leistungsschaltern und Leitungsschutzschaltern von Schneider Electric erreichen in dieser Kombination die abgangsseitigen Leitungsschutzschalter sogar ein höheres Ausschaltvermögen durch das Prinzip „Kaskadenschaltung bei gleichzeitig erhöhter Selektivität“ (Bild 3) als bei alleiniger Installation [1].



Nachrüstung und Erweiterung von Anlagen
Überspannungsableiter Typ 2 können gemäß den Angaben der Hersteller in Anlagen mit kleinen Nennströmen bis 125 A teilweise sogar bis 160 A ohne separate Vorsicherung installiert werden. Tritt später allerdings der Fall auf, daß betriebsbedingt eine Erweiterung der Anlage – also eine Erhöhung des Nennstromes – ansteht, ist eine Vorsicherung dann zwingend notwendig. Die gleiche Fragestellung tritt beim Serienschaltschrankbau auf, bei dem oft kurz vor der Inbetriebnahme die letzten Anlagenparameter definiert werden.

Abhilfe auf diese Fragen schaffen hier neue Geräte wie in Bild 4 von Schneider Electric gezeigt, die den Überspannungsableiter und die Ableitervorsicherung in einer Einheit integrieren [2]. Hierbei ist die Vorsicherung in der Ausführung als Leitungsschutzschalter (MCB: Miniature Circuit Breaker) auf den Ableiter Typ 2 koordiniert. D. h.: der Leitungsschutzschalter wurde so ausgewählt, dass er beim Auftreten vom Nennableitstoßstrom In von 20 kA (Wellenform 8/20 µs) nicht auslöst und die Schutzmaßnahme „Überspannungsschutz“ nicht außer Kraft setzt.

Weiterer Vorteil: durch eine mechanische Verlinkung beider Geräte schaltet im Fall von defekten oder fehlenden Schutzmodulen der LS-Schalter das Gerät automatisch vom Netz bzw. verhindert die Wiedereinschaltung vor der Instandsetzung.

Fehlerstrom-Schutzeinrichtung und Überspannungsableiter
Überspannungsschutzgeräte Typ 1 und Typ 2 müssen in Energieflussrichtung vor der Fehlerstrom-Schutzeinrichtung (RCD: Residual Current Device) installiert werden (Bild 5). Durch diese Anordnung wird eine ungewollte Auslösung der RCD im Falle des Ansprechens bei Überspannungen vermieden, da abgeleitete Stoßströme sonst als Differenzstrom – also als Fehler – erkannt werden.

Vorteilhaft beim Einsatz von Überspannungsableitern sind Fehlerstrom-Schutzeinrichtungen mit erhöhter Stoßstromfestigkeit (nach Stoßstromform 8/20 µs), da durch die Aufladung von Leitungskapazitäten ent-stehende transiente Ableitströme (Bild 6) ein Restrisiko zur ungewollten Auslösung darstellen.

Während Standard-FIs eine Stoßstromfestigkeit von 250 A aufweisen, sind „kurzzeitverzögerte“ oder „superimmunisierte“ FI (Bild 7) bis 3 kA stoßstromfest. Selektive FI erreichen gar eine Stoßstromfestigkeit bis zu 5 kA.

Gerade in Anlagen der Industrie, Telekommunikation, Krankenhäusern aber auch z. B. für Kassensysteme in Kaufhäusern und Supermärkten besteht der Bedarf nach einer hohen Versorgungssicherheit um die Betriebs- und Geschäftsabläufe optimal zu gewähren.

Besteht dann die Forderung nach Personenschutz, also FI mit Bemessungsfehlerstrom IΔn ≥ 30mA (zusätzlicher Schutz gegen direktes Berühren) sind superimmunisierte oder kurzzeitverzögerte FI die richtige Lösung. Neben der erhöhten Stoßstromfestigkeit lösen diese mit ca. 10 ms Zeitverzögerung aus, so dass transiente Ableitströme hervorgerufen durch Einschaltvorgänge bestimmter Betriebsmittel oder durch Überspannungen weit seltener zur ungewollten Auslösung führen.

Im Sinne der Norm für Fehlerstrom-Schutzeinrichtungen VDE 0664 (DIN EN 61008 u. 61009) [3] wird nur in unverzögerte oder selektive Ausführungen unterschieden. Ein superimmunisierter Fehlerstrom-Schutzschalter mit ca. 10 ms kurzzeitverzögerter Auslösung fällt auf Grund der Einhaltung der höchstzulässigen Abschaltzeit von 40 ms (bei 5 x IΔn) noch unter unverzögerte FI. Selektive Fehlerstrom-Schutzschalter mit IΔn > 30mA werden als Hauptfehlerstrom-Schutzschalter für den Anlagenschutz (Fehlerschutz) eingesetzt.



Fazit
Die Planung und Errichtung von Blitzschutzsystemen erfordert ein umfassendes Spezialwissen und die Kenntnis einer umfangreichen Normenliteratur. Planungstools der Hersteller von Überspannungsgeräten und Blitzschutzmaterial sowie neue Produkteinführungen erleichtern die Auswahl der zu verwendenden Geräte und deren Integration in den Schaltschrank, so dass Überspannungsschutz immer mehr zum natürlichen Bestandteil einer elektrischen Anlage wird.

Autor:
Fabio Pafumi
Produktmanager Installationsgeräte
Schneider Electric GmbH

Literatur:
[1] Schneider Electric GmbH, www.schneider-electric.de, Technisches Handbuch ZXTHPLANUNGNS
[2] Schneider Electric GmbH, www.schneider-electric.de, Katalog Installationsgeräte ZXKMULTI9,
Seite 4/11-4/13 [3] VDE-Verlag GmbH, VDE 0664 (DIN EN 61008 u. DIN EN 61009)
[4] VDE-Verlag GmbH, DIN EN 62305 Teil 1 bis 4 (VDE 0185-305 Teil 1 bis 4)
[5] Verlag Technik Berlin, V. Raab, Überspannungsschutz in Verbraucheranlagen
[6] VDE-Verlag GmbH, DIN VDE 0100-443:2007-06